Marketing-Gag: Die schwäbelnde Air Berlin Flugbegleiterin

Die Fluggesellschaft Air Berlin geistert in diesen Tagen mit einem Web 2.0-Märchen durch die Medien und erntet neben begeisterten Kommentaren wohl auch viele Sympatien. Dabei sah das wenige Tage vorher noch etwas anders aus: Seit nunmehr 2008 schreibt das Unternehmen rote Zahlen, das Eigenkapital ist im Vergleich zum zweiten Quartal des Vorjahres um fast 180 Millionen Euro zurückgegangen. Daneben stieg die Netto-Verschuldung von Air Berlin um mehr als 100 Millionen Euro – Anlass genug für den ohnehin umstrittenen Gründer Joachim Hunold zum 1. September 2011 seinen Hut zu nehmen und die Reißleine zu ziehen. Symbolträchtig auch die Kapitulation gegenüber Konkurrent Lufthansa auf der Strecke Frankfurt – Hamburg, die einst aggressiv als Business-Route erobert werden wollte. Letztlich hat die Kranich-Airline das Prestigeobjekt vor der eigenen Haustür jedoch verteidigt und sorgte für einen weiteren Nadelstich in die deutsche Hauptstadt. Wie groß das Chaos ist, zeigt auch das radikale Sanierungskonzept: unzählige Strecken (etwa 7.500 Flüge) und ganze Standorte (zunächst Erfurt) fallen zum Winterflugplan 2011 aus dem Programm, mehrere Flugzeuge werden verkauft und früher oder später wird auch ein teilweiser Stellenabbau unausweichlich sein. Vater dieses schweren Projektes ist niemand anderes als Ex-Bahnchef Hartmut Mehdorn, seit September nun neuer Chef der zweitgrößten deutschen Airline.

Dass bei Air Berlin derzeit wohl einiges im Argen liegt, zeigt auch unsere umfassende Beschwerde über gravierende Sicherheitsmängel und persönliches Fehlverhalten einiger Besatzungsmitglieder auf einem unserer Flüge im Mai 2011. Auf Nachfrage, warum wir bis zum Juli nicht mal eine Eingangsbestätigung erhalten haben, hieß es doch tatsächlich, dass aufgrund des derzeit insgesamt hohen Aufkommens ähnlicher Anliegen die Bearbeitung noch einige Zeit in Anspruch nehmen würde. Wohl gemerkt handelte es sich um eine von 8 Passagieren unterzeichnete Liste mit schwerwiegenden Sicherheitsmängeln. Erstaunlich, dass ähnliche Anliegen derzeit gehäuft auftreten. Wir werden nach ausführlicher Aufklärung und Beantwortung sicherlich noch einmal auf diese Geschichte zurückkommen.

Was ist aber denn nun aktuell eigentlich passiert? Was sorgt für die positiven Schlagzeilen? Nun ja – nennen wir es einen ziemlich cleveren Marketingschachzug außergewöhnlichen Ansagetext von Flugbegleiterin Michaela Bahnmüller aus Kornwestheim. Diese setzte nach der Landung von Flug AB6663 aus Hamburg am Stuttgarter Airport (STR) zu einer „Extrarunde“ an und machte die Sicherheitsdurchsagen nach (Hoch-)Deutsch und Englisch auch auf Schwäbisch, schickte die Passagiere so auf „a gmüdliche Hoimfahrd, kommed se guad ens Neschd“. Glücklicherweise Zufälligerweise wurde die Durchsage von einem Fluggast im passenden Moment aufgezeichnet und auf der Videoplattform YouTube veröffentlicht. Die Zugriffszahlen steuern zielstrebig auf die 1 Million-Marke zu (binnen einer Woche) und machten Frau Bahnmüller praktisch über Nacht zum Star – natürlich nicht ohne dass Air Berlin auf diesem UmWege seine Offenheit, Kundenorientierung und lockere Arbeitsatmosphäre in die Welt hinausträgt. Kritische Stimmen, z.B. dass ein solcher Dialekt unprofessionell wirkt und nicht zu einer vermeintlich globalisierten Airline passe, zudem vielleicht auch andere Fluggäste in ihrer Ehre verletzen oder bewusst von diesem doch eher lokalen Spaß ausschließe könne, wollen wir dann einfach mal ebenso ignorieren wie es Air Berlin selbst bislang tut. Denn auch die deutsche Medienlandschaft überschlägt sich mit positiven Meldungen und die Krise scheint für einen Moment fast vergessen. Überall strahlende Gesichter und stolzes Schulterklopfen. Ein Schelm, wer böses dabei denkt… Fazit: Werbekampagne Durchsage vollends gelungen!   

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Der neue Chef, Herr Mehdorn, sollte mit ungewöhnlichen Durchsagen ja vertraut sein – oder kam nur uns die Verabschiedung bei seinem alten Arbeitgeber häufig etwas holprig daher? „Sänk ju for treffelling wiss Deutsche Baaahn“. In diesem Sinne weiterhin happy landings!

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